Das M-Wort
In vielen deutschen Städten finden wir bis heute M.-Apotheken, -Brunnen, -Straßen. Sie sind ein gutes Beispiel für Sprache, die verletzen kann – und dennoch von vielen verteidigt wird. Das Stadtfest der thüringischen Stadt Eisenberg war 2019 Gegenstand überregionalen Medieninteresses. Die Stadt taufte das Fest „M.-Fest“ – nach einer städtischen Sage über den M. aus Eisenberg. (Mehr dazu Artikel „Eisenberg“)
Das M.-Wort leitet sich zum Einen aus dem griechischen „moros“ ab. Es bedeutet einfältig, töricht, dumm oder gottlos. Zum Anderen diente das lateinische Wort „maurus“, das schwarz, dunkel oder afrikanisch bedeutet, der Begriffsbildung. Aus diesen beiden wurde althochdeutsch „mor“ und schließlich der „Mohr“. Im Folgenden verwenden wir nur noch die Abkürzung „M.“, da wir die Verletzungen durch die Sprache nicht reproduzieren wollen.
Die Bezeichnung wurde zunächst nur für Bewohner*innen Äthiopiens verwendet und insbesondere für Menschen mit islamischen Glauben. Der Begriff „M.“ wurde besonders in Glaubensausein-andersetzungen – zur Abgrenzung von Nicht-Christ*innen – genutzt. Vor allem die Kämpfe zwischen Christ*innen und ihren islamischen Gegner*innen um die iberische Halbinsel – die so genannte Reconquista – trugen zur Verbreitung der Bezeichnung bei. Mit dem Aufkommen der Rassentheorien wandelte sich die Bedeutung und wurde gleichbedeutend mit dem N.-Wort[1] gesetzt. Sie sollten Angehörige der „schwarzen Rasse“ im Allgemeinen bezeichnen. Bis heute dient es der Darstellung von untergebenen Diener*innen aus Afrika oder „noblen Wilden“. Es wird zudem mit Schuld verbunden: In Geschichten wie dem klassischen Struwwelpeter wird das M.-Sein mit Bestrafung gleichgesetzt.[2]
Wenn wir heute diese Worte weiter verwenden, schreiben wir damit auch diese rassistische, koloniale Bedeutungsgeschichte weiter. Sie beinhalten nach wie vor den Grundgedanken, Menschen könnten verschiedenen – hierarchisch unterteilten – „Rassen“ angehören.
Schwarz und weiß
Wir nutzen für unsere Arbeit und im Reden über Rassismus die Bezeichnungen Schwarz und weiß.
Rassismus unterteilt Menschen in weiß und nicht-weiß (mit vielen Unterstufen). Mit Schwarz und weiß als Benennung einer sozialen Zuordnung, die Menschen mit unterschiedlichen Möglichkeiten an sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Teilhabe ausstattet[3], wollen wir diese rassistischen Kategorien aufbrechen. Zugleich soll so aber ihre Wirkmächtigkeit im Alltag von Menschen sichtbar gemacht werden. Für Schwarze Menschen macht es einen großen Unterschied, ob sie als Schwarz wahrgenommen werden. Ebenso prägt dies den Alltag von weißen Menschen – durch Privilegien, die sie selbst oftmals nicht als solche wahrnehmen. Sie werden von der Polizei eben nicht aufgrund ihres Aussehens kontrolliert[4], sie werden im Vergleich bei Stellenausschreibungen bevorzugt[5] und werden in der Regel nicht gefragt, warum sie so gut deutsch sprechen können oder wo sie denn her kämen. Die Bezeichnung Schwarz haben sich viele nicht-weiße Menschen als Selbstbezeichnung angeeignet, um zu zeigen, dass diese Gesellschaft in weiß und nicht-weiß unterscheidet und darin wertet. Ein Beispiel für einen Verein, der u.a. die Interessen Schwarzer in Deutschland vertritt und rassistische Diskriminierung, Benachteiligungen und Ausbeutung aufzeigt und bekämpft, ist die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland.
Werbung
In Werbefiguren werden Menschen zu „etwas“ Exotischem und Essbaren (M.-Köpfe, M.-Eis usw.) umgeformt. In diesen Kontexten, aber auch darüber hinaus ist der Begriff völlig verzichtbar. Essen, Apotheken, Straßen oder eben Goldschmieden könnten auf stereotype Darstellungen sowie den kolonialen Kontext des M. verzichten. [Anknüpfungspunkt für lokale Beispiele]
In Jena ist besonders die Goldschmiede M. präsent. Das Familienunternehmen fertigt seit 1948 Schmuck an. Als Logo diente lange Zeit eine stereotype Darstellung eines M., wie sie das Schokoladenunternehmen Sarotti ebenfalls lange Zeit nutzte.[6] Das Logo hat sich inzwischen zwar verändert, allerdings ziert das alte Unternehmensschild mit alten Logo noch immer den Eingang der Goldschmiede. Versuchen, die rassistische Bedeutung anzusprechen, wurde mit Abwehr und Verweis auf die Familientradition begegnet.
In Berlin gibt es seit Jahren den Kampf um die Umbenennung der M.Straße. Eine Erklärung von über 20 afrikanischen und Schwarzen deutschen Initiativen fordert dazu auf, den „entwürdigenden Straßennamen“ nicht weiter zu verwenden. Der Begriff diene „als Konstrukt und Projektionsfläche der europäischen Phantasie, die die Afrikaner als dumm, kulturlos, geschichtslos, Diener der Europäer darstellt.“[7] Jährlich findet das „Fest zur Umbenennung der M-Straße“ statt, an dem Aktivist*innen die Straße eigenhändig und kreativ umbenennen und Straßenschilder umgestalten: bspw. in die Möhrenstraße. 2018 forderten Aktivisten beim fünften Fest die Umbenennung nach Anton Wilhelm Amo, um u. a. eine Erinnerung an den ersten schwarzen Akademiker und Philosophen Deutschlands weiterzutragen.
Beispiele kolonialer Sprache
Im Zusammenhang des Kolonialismus war Sprache ein wichtiges Mittel zur Herstellung und Vermittlung des Legitimationsmythos, es sei richtig/notwendig, Menschen zu beherrschen, unterdrücken und auszubeuten.
- So wurden die kolonisierten Gebiete nicht erworben, sondern „unter den Schutz des Deutschen Reiches“ gestellt. Die Verträge wurden „Schutzbriefe“ genannt und auch das „Ordnung herstellende“ Militär wurde als „Schutztruppe“ bezeichnet. Dabei erhofften sich lokale Führungspersonen tatsächlich häufig einen Schutz gegen feindliche Nachbar*innen und waren sich oftmals nicht bewusst, welche Rechte sie den Kolonisatoren zusprachen. Das Deutsche Reich konnte hingegen das Bild der „Bürde des Weißen Mannes“ darstellen: Es gelte die Zivilisation herzustellen, auch wenn es großer Mühen und Opfer bedürfe.
- Auch die „Entdeckung Amerikas“ gilt es zu hinterfragen. Laut Duden bedeutet „entdecken“, jemanden oder etwas erstmalig finden. Allerdings lebten auf den Amerikas bereits vor der Ankunft von Kolumbus Menschen, die dieses Land demzufolge auch schon längst entdeckt hatten. Ihre Perspektive, Geschichte und Lebensrealität werden damit aus Geschichtsbüchern ausgeklammert – allein durch die Sprache. Die Benennung von Bevölkerungsgruppen bspw. als Indianer*innen führt das nur fort.[8] Wir kennen die Geschichte über des Irrtum von Kolumbus, in Indien gelandet zu sein und Menschen – gleich welcher Gruppe– daher Indianer*innen zu nennen. Viele so betitelte Menschen lehnen diese Worte ab und nennen sich selbst bspw. First Nations oder Indigene. Menschen werden immer wieder benannt und somit kategorisiert, ohne dass dabei auf ihre Selbstbezeichnung geachtet wird.
Wie damit umgehen?
Wir wollen keine Verbote oder No-Gos aussprechen – aber einen Appell, sich mit der eigenen Sprache zu beschäftigen. So wie koloniale und rassistische Strukturen ihre Spuren bis in unsere Gegenwart hinterlassen haben, haben sie es auch in unserer Sprache. Sprache und Worte haben eine Geschichte und transportieren oftmals mehr als uns bewusst ist. Es muss nicht böse gemeint sein, um dennoch mit Worten zu verletzen. Es ist unerlässlich, zu fragen und zuzuhören, wie Menschen selbst benannt werden wollen. Durch (Nicht-)Benennung können Menschen wertgeschätzt, aber auch abgewertet oder ausgegrenzt werden. Sprache schafft Normen – hat Einfluss darauf, was für uns normal ist. Beispielsweise nur das Aussehen oder die Zugehörigkeit von bestimmten Menschen zu benennen und andere nicht – Schwarze zu benennen und Weiße nicht. Das schafft bereits in einem Satz eine Normalität von Weißsein. Schwarze werden so als Ausnahme oder sogar als „nicht normal“ bezeichnet. Selbstverständlich schaffen wir mit unseren Worten ein „Wir“ und „die Anderen“. „Wir“ sind weiß, männlich, wohlhabend, körperlich nicht beeinträchtigt usw. … und alle anderen sind „die Anderen“, die als solche kenntlich gemacht werden.
Es ist heute ein weißes Privileg, rassistische Sprache entweder zu übergehen oder nur von außen drauf zu schauen und sich selbst nicht angesprochen zu fühlen. Ausblenden heißt, bestehende Rangordnungen (Über- und Unterordnung) zu wiederholen und sie zu stärken.
Literaturhinweise
- Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.); Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. 3. korrigierte Auflage, Münster 2019.
- Natasha A. Kelly: Begriffsgeschichten vom M-Wort, N-Wort, I-Wort, Die rassistische Fremdbezeichnung „Zigeuner_in“…, unter: http://www.edewa.info/stellungnahmen/begriffsgeschichten/ (21.11.2019).
- Demirova, Filiz (EDEWA – Der Postkolonialwarenladen): Warum wollen sie uns essen?, unter: http://www.edewa.info/stellungnahmen/warum-wollen-sie-uns-essen/ (21.11.2019).
- May Ayim/Opitz: Rassismus, Sexismus und vorkoloniales Afrikabild in Deutschland, in: Farbe bekennen. Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (hrsg. v. May Ayim/Katharina Oquntoye/Dagmar Schultz), 4. Auflage, Berlin 2016.
Didaktische Hinweise
Durchführungsort
Leider findet sich noch in fast jeder Stadt ein Laden, ein Brunnen, eine Apotheke, eine Straße oder ein Eis, die den M. Namen tragen. An diesen Orten lässt sich diese Station gut durchführen. In Jena bietet sich als Ort die Goldschmiede Unterm Markt an.
Wir teilen die Gruppe zu Beginn in zwei Teile auf.
- Gruppe A beschäftigt sich mit der Frage „Was verbindet ihr mit dem M.-Wort?“.
- Gruppe B beschäftigt sich mit der Frage „Was verbindet ihr mit dem Logo?“.
Beide Gruppen erhalten jeweils ein Flipchart und Stifte um ihre Assoziationen aufzuschreiben oder zu visualisieren. Anschließend schaut sich die gesamte Gruppe die Ergebnisse nacheinander an, dabei kann ergänzt werden. Anschließend erfolgt der Input. (Der Teil zu Beispielen kolonialer Sprache, kann zum Kürzen entfallen.)
[1] Auch in diesem Fall möchten wir nicht reproduzieren, was abwertend und verletzend ist. Zur Erklärung: N.-Wort steht für „Neger“.
[2] In der Geschichte machen sich Kinder über einen M. lustig. Woraufhin die Frage gestellt wird, was der arme M. dafür könne, dass er so schwarz sei. Die Kinder werden bestraft, indem sie mit Tinte „noch schwärzer“ gemacht werden.
[3] Das soll auch die Schreibweise (kursiv bzw. mit Großbuchstaben) zeigen.
[4] Mehr zu Racial Profiling unter: https://mediendienst-integration.de/artikel/fragen-und-antworten-zu-racial-profiling.html (8.5.2020)
[5] Mehr zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-06/wzb-studie-diskriminierung-afrikaner-muslime-jobsuche (8.5.2020).
[6] Sarotti ist ein bekanntes Schokoladenunternehmen. Der Sarotti-M. etablierte sich als Logo und Marke. 2004 veränderte die Firma ihr Logo nach langen Debatten geringfügig und spricht nun von einem „Magier der Sinne“.
[7] Erklärung unter: http://m-strasse.de/resistance
[8] Auch Benennungen wie Aborigines sind Fremdbezeichnung, die als abwertend gewertet werden. In ihren verschiedenen Sprachen gibt es eigene Namen sowie englische Bezeichnungen wie First Australians.