[Dieser Text ist kontrovers. Daher diskutieren und überarbeiten wir ihn in der Gruppe derzeit.]
Sayyida Salme wurde in die Herrscherfamilie von Sansibar geboren. Mit ihrer Beziehung zu einem Hamburger Handelsvertreter änderte sich nicht nur ihr Leben, sonder auch ihre Identität. Als Emily Ruete passte sie sich mühevoll den deutschen Normen an. Mit dem Tod ihres Ehemannes offenbarte sich jedoch ihre prekäre Situation als Schwarze Frau in Deutschland. Mit politischer Fähigkeit versuchte sie die deutschen Bestrebungen für sich zu nutzen. Mit ihrer Autobiographie verfasste sie ein wichtiges Zeugnis einer Woman of Color im Kontext des Kolonialismus.
Salmes Leben auf Sanisbar
Sayyida Salme binti Said wurde am 30.August 1844 auf Sansibar als Tochter des Sultans von Sansibar und Oman und einer seiner Nebenfrauen geboren. Der Titel „Sayyida“ weist ihren Status als Prinzessin aus.
Sansibar war zu dieser Zeit ein wichtiger Handelsplatz und Teil der arabisch-indischen Welt. Es wurden dort nicht nur mit wertvollen Gewürzen und Elfenbein – sondern auch mit versklavten Menschen gehandelt. Die osmanische Dynastie herrscht zwar über die Inseln, jedoch ließen sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr europäische Handelsvertretungen dort nieder – so auch 1853 die Firma „Hansing & Co“. Sansibar wurde zunehmend für den interkontinentalen Handel wichtig.
Handelsvertreter dieser Firma auf Sansibar war seit 1857 u.a. Heinrich Ruete. Salme begann eine Beziehung mit dem Hamburger und wurde schwanger. Für das muslimische Herrschaftshaus war diese Beziehung schwer hinzunehmen, sodass Salme und Heinrich mit der Unterstützung des britischen Konsulats Sansibar verließen. In Aden brachte Sayyida Salme 1866 dann ihr Kind, Heinrich, zur Welt.

Sayyida Salme in traditioneller Kleidung als „Prinzessin von Sansibar“.
(Unknown author / Public domain)
Emilys Leben im Deutschen Reich
Das Paar heiratet und Salme nahm für die Hochzeit den christlichen Glauben an. Die Familie zog anschließend nach Hamburg und Sayyida Salme binti Said nannte sich fortan Emily Ruete. Die Herkunftsfamilie Heinrichs begegnete Emily Ruete mit exotisierender Neugier und Befangenheit. Für Salme selbst war die neue Umgebung in vieler Hinsicht eine Herausforderung.
Nach nur vier Jahren starb Heinrich Ruete 1870 unerwartet bei einem Unfall. Um ihre Familie finanziell absichern zu können, wendete Emily sich 1872 an die deutsche Regierung und erbat Unterstützung, um ihre Erbansprüche auf Sansibar geltend zu machen. Der deutsche Botschafter in Sansibar nahm daraufhin Kontakt mit dem neuen Sultan – Salmes Halbbruder Bargasch auf. Dieser vertrat jedoch die Ansicht, Salme habe mit ihrem Übertritt zum Christentum alle Erbansprüche verwirkt.
Der diplomatische Fall Ruete
Diese Situation griff die deutsche Regierung auf. Denn auf dem Festland gegenüber von Sansibar etablierte die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft mit zweifelhaften sogenannten „Schutzverträgen“ ein Herrschaftsregime. Mit der Afrika-Konferenz von 1884 wurde dieses Gebiet offiziell zur deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Für den Sultan von Sansibar bedeutete dies, einen expansionsfreundlichen Nachbarn zu haben, der sich im Handelsnetz immer mehr etablierte.
Der Fall Emily Ruete kam den deutschen Politkern daher gerade Recht, um ihre Ansprüche auf dem Festland zu untermauern. Salme geriet zwischen die Fronten und ihr Kampf um das Erbe wurde zur „hohen Politik“: Mit einem deutschen Kriegsschiff und einer beeindruckenden Flotte – und somit unter deutschen militärischen Schutz – reiste sie 1885 nach Sansibar. Der Sultan akzeptierte unter dem Druck dieser Machtdemonstration die deutschen Besitzungen auf dem Festland – verweigerte Emiliy Ruete aber den Empfang und akzeptierte ihre Ansprüche nicht. Stattdessen erhielt sie eine einmalige Zahlung von 5000 Mark vom deutschen Kaiser. In der Folge wurde Emilys Interessen für die deutsche Politik zunehmend wieder uninteressant. Deutsche Vertreter waren nun an einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Sultan von Sansibar interessiert.
Die Schwarze Schriftstellerin
1886 veröffentlicht Emily Ruete das Buch „Memoiren einer orientalischen Prinzessin“. Es wurde mehrmals verlegt und auch in die englische Sprache übersetzt. Bis heute ist das Buch eine wertvolles, wenn auch exemplarisches Zeugnis von den Lebensbedingungen und Erfahrungen einer Woman of Color im Kontext des Kolonialismus. Vielen anderen war es nicht möglich ihre Erfahrungen weiterzugeben oder sie sind im Laufe der Zeit verloren gegangen.
„Ich schreite sofort zur wichtigsten aller dieser Fragen, zur Darstellung der Stellung der Frau im Orient. Es fällt mir ziemlich schwer, dieses Thema zu besprechen; ich bin überzeugt, man wird mich als geborene Orientalin für parteilich halten und es wird mir doch nicht gelingen, die schiefen und falschen Ansichten, welche in Europa und besonders in Deutschland über die Stellung einer arabischen Frau gegenüber ihrem Manne im Schwange sind, gründlich auszurotten. Der Orient ist eben trotz der […] Verbindungen noch viel zu sehr das alte Fabelland und über ihn darf man ungestraft erzählen, was man will. Da geht ein Tourist nach Konstantinopel, nach Syrien, Ägypten, Tunis, Marokko und schreibt dann ein […] Buch über Leben, Sitten und Gebräuche im Orient. […] So begnügt er sich von Mund zu Mund gehende und dadurch allmählich immer mehr entstellte Geschichten, wie er sie von einem französischen oder deutschen Kellner eines Hotels, von Matrosen und Herumtreibern erzählen hört, niederzuschreiben und danach sein Urteil zu bilden. Ziel ist auch auf diesem Wege nicht zu erfahren; es spornt einfach seine Phantasie an und ergänzt nach Herzenslust.“
[1]
Ein kosmopolitisches Leben zwischen den Welten
Zwei Jahre später, 1888, reiste Salme erneut nach Sansibar – diesmal allerdings ohne die Unterstützung des deutschen Kaisers, scheinbar sogar gegen dessen Willen. Sie wünschte sich eine Aussöhnung mit ihrer Familie, die allerdings nicht gelang. Sie zog daraufhin nach Beirut und lebt ca. 25 Jahre in der Region. 1890 kam es zum sogenannten Helgoland-Sansibar-Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien: es wurde vereinbart, Sansibar als deutsches Interessengebiet aufzugeben und die Inseln quasi zu tauschen.
Noch vor dem ersten Weltkrieg kehrte Emily 1914 jedoch nach Deutschland zurück und lebte zunächst in Bromberg (im damaligen Preußen und heutigen Westpolen). Schließlich zog sie mit ihrer Tochter Rosalie und ihrer Familie 1918 nach Jena in die Gartenstraße 4.[2] Sie verbrachte hier die nächsten Jahre mit einer kleinen Rente von ihrer sansibarischen Familie. Diese hatte einer solchen jährlichen Rente zugestimmt, ohne Emilys Erbschaftsanspräche anzuerkennen.
1924 starb Sayyida Salme alias Emily Ruete in Jena. In der Jenaischen Zeitung erschien wenige Wochen nach ihrem Tod ein Nachruf, der sehr frei von ihrem Leben berichtet.
Literaturhinweise
- Emily Ruete: Leben im Sultanspalast. Memoiren aus dem 19. Jahrhundert, Hamburg 2013.
- Heinz Schneppen: Jena: Emily Ruete, eine Prinzessin aus Sansibar, in:. Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland (), Erfurt 2007, S. 422-427.
- May Ayim/Opitz: Rassismus, Sexismus und vorkoloniales Afrikabild in Deutschland, in: Farbe bekennen. Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, 4. Auflage, Berlin 2016, S. 27-61.
Didaktische Hinweise
1. Materialien
Wir empfehlen 2 Bilder auf den Rundgang mit zu nehmen: Eins zeigt Sayyida Salme, ein anderes Emily Ruete (bspw. mit Familie). Während der Darstellung ihrer Geschichte können die beiden Bilder die verschiedenen Lebensphasen von Sayyida/Emily illustrieren.
2. Interaktion
Im Dialog mit den Teilnehmenden können abschließend noch einmal die Veränderung der Kleidung, Frisur der Pose angesprochen werden. Was hat sich für Sayyida verändert, als sie Heinrich heiratete und nach Deutschland migrierte?
3. Durchführungsort
Als Ort nutzen wir in Jena den Marktplatz:
Hier am Marktplatz hat u.a. die Initiative Towanda vor einigen Jahren eine Frauenbank aufgestellt. Diese soll an diesem von Männern dominierten Ort – Bismarck und der Hanfried, die hier so sichtbar sind – an bekannte Frauen aus Jena erinnern. Diese Anregung greifen wir auf und erinnern hier an Sayyide Salme, die ihre letzten Lebensjahre in Jena verbracht hat, in der Gartenstrasse, und von der es kein Denkmal oder eine Plakette gibt, auf der zu lesen ist, wer sie war: Sayyida Salme/Emily Ruete (1844-1924) „Deutsch-Arabische Schriftstellerin“.
[1] Autobiographie; dem Kapitel „Stellung der Frau im Orient“: (1886, S.179/180); https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN655942750&DMDID=DMDLOG_0001&PHYSID=PHYS_0193 (25.02.2020).
[2] Rosalie war eins von vier Kindern von Emiliy Ruete. Sie lebet bis 1947 in der Gartenstraße und brachte selbst zwei Kinder auf die Welt. Es soll einen Dokumentar-Film geben. Vgl.: Hubert Leonhard Graf und Hanno Müller: Nicht viele Spuren: Eine Prinzessin in Jena, in: TLZ vom 10.3.2012, unter: https://www.thueringer-allgemeine.de/leben/land-und-leute/nicht-viele-spuren-eine-prinzessin-in-jena-id218240937.html (25.02.2020).